Auf der Dachterrasse des Haus am Dom – dem Zuhause der Katholischen Akademie Rabanus Maurus, die Kooperationspartner des Abends war – bewiesen die Teilnehmenden von „FAIR raten. Open Air Fashion Quiz über den Dächern Frankfurts“ ihr Modewissen: Geclustert nach der ökologischen, ökonomischen und sozialen Dimension von Nachhaltigkeit beantworteten die Rategruppen beispielswiese, wie viele Tonnen CO2 die Bekleidungsindustrie jährlich verursacht, was mit Altkleidercontainern geschieht und wie niedrig der Durchschnittsverdienst einer Näherin in Bangladesch ist. In den Rundenpausen stellte Jana Neumark, CSR Senior Expert bei Hessnatur, das Unternehmen mit Sitz im hessischen Butzbach als Best Practice-Beispiel vor. Dass die Leinen-Totebags, die das erstplatzierte Team später als Preis nach Hause nehmen durften, aus französischem Flachs produziert wurden, verdeutlichte einmal mehr den ganzheitlichen Nachhaltigkeitsansatz, den das Unternehmen lebt.
Viele praktische Tipps hatte Jennifer Najarian dabei. Die studierte Mode- und Textilmanagerin sensibilisierte nicht nur dafür, dass bei sogenanntem veganen Leder häufig die Materialien einfach nur mit Polyurethanen – also Kunststoffen – überzogen werden, sondern erklärte auch, dass gerade große Modeketten durch wohlklingende Namen wie „Capsule Collection“ oder „Conscious Line“ Greenwashing betreiben. „Und wie kann ich mich nachhaltig einkleiden bei kleinem Geldbeutel?“, fragte eine Teilnehmerin. Auch hier hatte Jennifer Najarian ein paar Ideen. Die Expertin zählte auf, secondhand einzukaufen, bei nachhaltigen Unternehmen und Marken auf Rabatt-Aktionen zu achten sowie Kleider zu tauschen oder zu leihen. Vor allem aber riet sie: „Pflegt eure Kleidung richtig. Häufig verwendet man zu viel Waschmittel und lässt die Kleidung im falschen Waschprogramm laufen.“ Sie erklärte auch, dass Textilsiegel eine Qualitätsgarantie für Käuferinnen und Käufer darstellen. „Die für die Siegel notwendigen Prüfverfahren garantieren eine bestimmte Qualität in bestimmten Bereichen – und das gibt uns eine gute Orientierung.“
Das sah das Publikum bei der Veranstaltung „Leute machen Kleider. Lesung und Gespräch“ am Folgetag etwas kritischer: „Wie relevant sind Textsiegel für die Konsumentinnen und Konsumenten wirklich?“, fragte Dr. Lucia Klöcker, Inhaberin der Buchhandlung Weltenleser, mit der die Außenstelle Mainz für die Veranstaltung kooperiert hatte. Die Frage stieß beim Publikum auf zustimmendes Kopfnicken – fragen sich doch viele, wie sinnvoll die Flut an Zertifizierungen überhaupt ist und wie realistisch es ist, im Laden stehend mit dem Smartphone auf der Homepage von Modeunternehmen nach Antworten zu suchen. „Ich selbst schaue nie auf Siegel, sondern achten darauf, ob die Modemarken und –unternehmen die beworbenen Werte wirklich leben“, erklärte Marina Chahboune, Gründerin der Nachhaltigkeitsagentur „Closed Loop Fashion“ mit Sitz in Indonesien.
Auszüge aus dem Buch „Kleider machen Leute“ von Imke Müller-Hellmann waren Stichwortgeber für das Gespräch zwischen Marina Chahboune und der Modejournalistin Lisa Wagner, die beide Blicke hinter die Kulissen der Modeindustrie gewährten. So würde ein bekanntes Textilzertifikat lediglich für eine kleine Auswahl von Chemikalien stehen, die nicht verwendet wurden. „Wenn man aber weiß, dass in einer Hose bis zu 300 verschiedene Chemikalien verwendet werden, ist das wenig aussagekräftig“, sagte Marina Chahboune und empfahl, im Laden Fragen zu stellen. Sie machte aber auch deutlich, dass die Anforderungen an Kleidungsstücke gestiegen seien. Farbe dürfe nicht ausbluten, ein Hemd solle möglichst knitter- und bügelfrei sein. „Um diese Performance zu ermöglichen, die auch nach vielen Wäschen noch hält, was sie verspricht, muss einiges an Chemie aufgetragen werden“, so die Expertin. Das Lieferkettengesetz wurde von beiden Expertinnen positiv gesehen, da die staatliche Regulierung einen gewissen Standard ermögliche. „Ich wünsche mir jedoch, dass es ein globales Lieferkettengesetz gibt“, sagte Lisa Wagner abschließend.