Das Ziel 8, Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum, der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung stand am Montag, 11. November 2019, bei der fünfteiligen Ringvorlesung „SDGs konkret – Nachhaltigkeit in der Textil- und Bekleidungsbranche“ in der Repräsentanz der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Berlin im Fokus.
Expertinnen und Experten warfen dabei einen kritischen Blick auf bestehende Machtbeziehungen und Machtstrukturen innerhalb der textilen Wertschöpfungskette und innerhalb der globalen Produktionsnetzwerke der Textil- und Bekleidungsbranche.
Dr. Nora Lohmeyer aus dem Fachbereich Wirtschaftswissenschaften an der Freien Universität Berlin stellte Ergebnisse aus dem internationalen Forschungsprojekt „Garment Supply Chain Governance Project“ vor, bei dem globale Machtbeziehungen und -strukturen innerhalb der Produktionsnetzwerke in der Bekleidungsindustrie in Bangladesch untersucht wurden.
Sie erläuterte, dass nach dem Einsturz der Fabrik von Rana Plaza im Jahr 2013 Verbesserungen von Arbeitsstandards in den textilen Produktionsstätten zu beobachten gewesen seien, etwa mit Blick auf bessere Löhne und Sicherheitsstandards. Bestehende Sozialprogramme seien hinterfragt und verbessert worden. Dennoch würden weitere positive Entwicklungen durch bestehende und unveränderte Machtbeziehungen und Machtstrukturen innerhalb der Produktionsnetzwerke verlangsamt oder ganz verhindert werden.
Nach wie vor fehle es an den Möglichkeiten einer Selbstorganisation, in vielen Fällen seien Gewerkschaften noch gänzlich unbekannt. Die Abhängigkeitsverhältnisse innerhalb der Produktionsnetzwerke seien nicht nur bestehen geblieben, sondern sogar verstärkt worden, so das Fazit von Nora Lohmeyer. In der Beziehung zwischen westlichen Einkäuferunternehmen und Produktionsstätten seien die produzierenden Länder weitaus machtloser als die westlichen Abnehmerinnen und Abnehmer, erklärte sie weiter.
Anne Neumann von INKOTA-netzwerk e.V. stellte die Perspektive aus ihrer Kampagnenarbeit dar. Ihr Blick richtete sich auf die Leder- und Schuhproduktion in Indien. Sie schilderte die Gefahren und Probleme, mit denen Arbeiterinnen und Arbeiter konfrontiert sind: Umweltverschmutzung sowie Gesundheitsgefährdungen der Arbeiter und Arbeiterinnen durch die genutzten Chemikalien, Probleme der Arbeitssicherheit, Kinderarbeit, Löhne, die nicht zum Leben reichen. Zudem sei auch hier eine gewerkschaftliche und zivilgesellschaftliche Arbeit sehr stark eingeschränkt beziehungsweise nicht vorhanden.
Die beiden Expertinnen waren sich einig, dass eine wichtige Rolle, um bessere Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten zu schaffen, der Erlass eines Lieferkettengesetzes in Deutschland sei, durch das Unternehmen auf dem deutschen Markt verpflichtet wären, ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten nachzukommen und Produktionsstandards einzuhalten.
Das 2014 geschlossene Textilbündnis sei daher ein erster wichtiger Schritt, um Lieferketten fair zu gestalten. Das Bündnis für nachhaltige Textilien ist eine Multi-Akteurs-Partnerschaft mit rund 120 Mitgliedern aus Wirtschaft, Politik, Zivilgesellschaft, Gewerkschaften und Standardorganisationen. Sie alle wollen die Bedingungen in der weltweiten Textilproduktion verbessern – von der Rohstoffproduktion bis zur Entsorgung. Aber auch hier gäbe es noch Verbesserungspotential: Es dürfe vor allem nicht bei einer freiwilligen Entscheidung der Unternehmen bleiben Maßnahmen zur menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht umzusetzen, sondern die Umsetzung sollte für alle Unternehmen verpflichtend sein.
Ebenso wurden die Stärken und Schwächen des vom Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und der GIZ entwickelten Siegels „Grüner Knopf“ - eine Auszeichnung für Produkte von Unternehmen, die anspruchsvolle Sozial- und Umweltstandards erfüllen - sowie die Notwendigkeit von verpflichtenden Regulierungen von Mindeststandards diskutiert.