Die Universitäten sind momentan wie leergefegt– dennoch öffneten sich am 1. Dezember 2020 die Türen eines Online-Hörsaals am Institut für Ethnologie und Afrikastudien (IFEAS) der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Bei einer digitalen Roundtable-Veranstaltung wurde live auf YouTube die multimediale Reportage „Fair Trade Music? Afrikanische Musik auf dem Weltmarkt“ vorgestellt. Die Veranstaltung wurde von der Außenstelle Mainz von Engagement Global im Rahmen des Programms Entwicklungsbezogene Bildung in Deutschland (EBD) und in Kooperation mit dem Archiv für die Musik Afrikas und dem Institut für Ethnologie durchgeführt.
15 Studierende hatten sich im Sommersemester 2020 unter anderem mit der Frage beschäftigt, wie fair die Rahmenbedingungen auf dem globalen Musikmarkt sind, besonders für Kunstschaffende aus afrikanischen Ländern. Das Besondere daran war, dass die Studierenden aus ethnologischer Perspektive auf das entwicklungspolitisch zentrale Thema des fairen Handels geblickt und hierzu Agenturinhaberinnen und -inhaber, Veranstalterinnen und Veranstalter sowie Künstlerinnen und Künstler interviewt haben. Ihre audiovisuellen und schriftlichen Ergebnisse wurden im Format eines „Scrollytelling“ miteinander verwoben. Dieses neue Format wurde nun beider Online-Veranstaltung vorgestellt. Beim Scrollytelling geht es wie beim Storytelling darum, Geschichten zu erzählen – und zwar durch Scrollen.
In der digitalen Diskussionsrunde wurde am Abend deutlich: Live-Auftritte sind für Musikerinnen und Musiker die wichtigste Einnahmequelle, doch stellen Visa-Bestimmungen und Reisekostenstellen große Hürden dar, afrikanische Musik beim deutschen Publikum bekannter zu machen. „Für eine Konzertkarte müssten wir eigentlich deutlich mehr verlangen, um alle Kosten zu decken“, sagte Pedo Knopp, DJ und Veranstalter aus Frankfurt am Main.
Die Diskussionsteilnehmenden fragten gezielt nach objektiven Kriterien, die Fairness im Musikgeschäft gerade für Musikmachende aus afrikanischen Ländern gewährleisten können. Neben einer gerechten Entlohnung, waren sich die Experten einig, sind transparente Handelsbeziehungen und eine partnerschaftliche Zusammenarbeit auf Augenhöhe weitere wichtige Aspekte, um den Gedanken des fairen Handels auch im Musikgeschäft umzusetzen.
Doch was können Musikliebhaberinnen und Musikliebhaber tun, um sich für mehr Fairness stark zu machen? Konzertveranstalter Jean Trouillet empfahl die Online-Musikplattform „Band Camp“, auf der unabhängige Musikmachende ihre Kunst verkaufen oder kostenfrei zur Verfügung stellen können. Ebenso wichtig sei das „Schneeballprinzip“, wie Jean Trouillet beschrieb: afrikanische Musik bei privaten Zusammenkünften hörbar machen. Hierbei wurde deutlich, dass es Musik aus dem Globalen Süden nur selten in deutsche Radiosendungen und andere Medien schafft. Pedo Knopp schlug deshalb vor, bei Medienanstalten das Abspielen von unbekannteren Titeln einzufordern.
Dr. Hauke Dorsch und Tom Simmert, Dozierende des IFEAS und Leiter der Praxisseminare, fassten zusammen: Gerechte Bezahlung, Wahrnehmung, Wertschätzung, Antidiskriminierung und Diversität sind Säulen, auf denen der faire Handel im Musikgeschäft fußen müsse.
Vor allem in Deutschland werde wenig afrikanische Musik gespielt – aber wie sieht es in anderen Ländern aus, fragte eine Zuschauerin. „Wir bemerken eine ziemliche Sättigung. Der Novelty-Effekt wird eher von einer kleinen Masse genossen, während die breite Masse nur bekannte Hits zu hören bekommt. Daher ist es für Newcomer, gerade aus Afrika, schwierig, überhaupt irgendwo gehört zu werden“, erklärte Jean Trouillet. Wulf von Gaudecker, Inhaber einer Booking-Agentur, pflichtete bei: „Wir haben in Deutschland eine Medienlandschaft, die an unbekannteren Musikmachenden vorbeisehen kann. Am ehesten hört man mal südafrikanische Musik – aber auch das entspricht nur einem Bruchteil der musikalischen Realität vor Ort“. Clinton Heneke, Musiker und Musikpädagoge aus Mainz und gebürtig aus Kapstadt, sorgt sich um die Vielfalt der afrikanischen Musikstile. „Die Musikerinnen und Musiker arbeiten zu bedarfsorientiert. Man hört die musikalischen Unterschiede gar nicht mehr raus.“ Es werde nicht genug Wert auf Tradition gelegt, er stellt ein Aussterben der musikalischen Vielfalt fest.
Pedo Knopp sprach an, dass auch europäische und westliche Künstlerinnen und Künstler afrikanische Musik und deren vielfältige Elemente und Stile für sich entdeckten und adaptierten. Er zeichnete einen schwierigen Balanceakt nach, der entsteht, wenn afrikanische Musik zwar mehr Aufmerksamkeit bekommt, Gewinne aber nur im Globalen Norden erzielt werden, während die Originale weitestgehend ungehört bleiben. Doch auch wenn es Musik aus afrikanischen Ländern nur selten ins Radio schafft – Liebhaber afrikanischer Musik gibt es auch hier: „Der Westen hört nach Afrika“, so Pedo Knopp in der Livestream-Runde, und sehr konkret im Video-Interview: „Africa is the future“.